Zur Erwerbsminderungsrente in der gesetzlichen Rentenversicherung

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7th Jun 2016

  • besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen, Beweissicherung
  • Vorteile einer Rechtsschutzversicherung

Vor den Sozialgerichten wird um die Bewilligung von Erwerbsminderungsrenten besonders heftig gestritten. Viele Mandanten wissen bereits vor dem Besuch beim Rechtsanwalt, dass derjenige als erwerbsunfähig gilt, wer keine  3 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr arbeiten kann (wer noch 3 Stunden aber keine 6 Stunden täglich unter diesen Bedingungen arbeiten kann bekommt in der Regel eine befristete „halbe Rente“ oder eine sogn. „Arbeitsmarktrente“ wegen der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes). Über diese präjudiziellen sozialmedizinischen Sachverhalte entscheiden die sachverständigen Sozialmediziner allein und nicht das Sozialgericht. Nur mit engagierten Rechtsvertretern (und Ärzten) ist gegen negative Begutachtungen ein Kraut gewachsen. Schon oft haben wir die Erfahrung machen müssen, dass der Sozialrichter hier wenig empathisch mitwirkt und dem sachverständigen Gutachter schlicht vertraut. Nachvollziehbare und plausible Einwände der betroffenen Versicherten werden zwar mit verständiger Miene zur Kenntnis genommen, finden aber kein Gehör.

Insbesondere der medizinische Fortschritt wirkt hier paradoxerweise streitverschärfend, da insoweit die Erwerbsfähigkeit des Versicherten trotz schwerer Erkrankungen aufrecht erhalten oder wiederhergestellt werden kann. Der Mandant erfährt dann  häufig den Eindruck, er müsse schon „den Kopf unter dem Arm tragen“, um bei der Begutachtung nicht durch das sozialmedizinische Raster zu fallen.

Hier sollte man wissen, dass der rechtsschutzversicherte Mandant klar im Vorteil ist, da die Rechtsschutzversicherer in aller Regel auch die Kosten einer sozialmedizinischen, sachverständigen Begutachtung  durch den selbst benannten Arzt bezahlen, nachdem sich die  Begutachtung von Amts wegen als nicht zielführend herausgestellt hat. Wer nicht rechtsschutzversichert ist, muss diese Kosten selbst bezahlen, jedenfalls aber vorstrecken,  oder auf ein neues Gutachten von Amts wegen hinwirken. Wer frühzeitig eine Rechtsschutzversicherung abschließen will, sollte sich beim Versicherer nach Wartezeiten und Selbstbeteiligungen erkundigen.

Nicht selten stellt sich  der Erfolg in der Rentensache wegen Erwerbsminderung erst in der 2. Instanz oder sogar erst nach dem 2. Prozessanlauf ein. 3 bis 4 Jahre Prozessdauer sind keine Seltenheit.

Was viele Versicherte aber auch viele Rechtsberater nicht wissen: Im Laufe der Zeit können die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der gesetzlichen Rentenversicherung verloren gehen.  Dies ist besonders tragisch, wenn die „gesundheitlichen  Voraussetzungen“ der Erwerbsminderung –etwa wegen einer Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes- schließlich eingetreten sind. Fazit: Operation gelungen, Patient tot.

Was ist passiert? Der Gesetzgeber hat ins Gesetz geschrieben, dass der Versicherte in einem Zeitraum von 5 Jahren vor dem Eintritt der Erwerbsminderung für mindestens 3 Jahre Pflichtbeiträge vorweisen muss. Die Betonung liegt hier auf dem Wort „Pflicht“. Freiwillige Beiträge zählen nicht. Dieser 5-Jahreszeitraum ist unter anderem um sogn. Berücksichtigungs- und Anrechnungszeiten zu verlängern. Es handelt sich dabei etwa um Zeiten der Erziehung eines Kindes, der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit oder der Arbeitslosigkeit ohne den Bezug von öffentlich-rechtlichen Leistungen (mit weiteren Voraussetzungen). Bezieht der krankheitsbedingt Arbeitsunfähige nun keine Sozialleistungen und ist er nicht bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet, so kann er im Laufe eines Prozesses oder zwischen zwei Prozessen die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen verlieren mit der Folge, dass zwar sozialmedizinisch eine Erwerbsminderung vorliegt, der Erwerbsminderungsrente der Erfolg aber dennoch versagt bleibt. Besonders pikant: Nicht selten werden die Versicherten vom Sachbearbeiter des Arbeitsamts mit ihrem Begehren auf Arbeitssuchendmeldung zurückgewiesen oder aber die Zeiten werden schlicht nicht gemeldet. Hier muss der Versicherte selbst Beweissicherung betreiben. Er sollte beim Rentenversicherungsträger Rücksprache nehmen und beim Arzt auch dann auf AU- Bescheinigungen bestehen, wenn er ohne Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnis ist. Wenn „alle Stricke reißen“ müssen die Pflichtbeitragszeiten erst wieder –auf Kosten der eigenen Gesundheit-  erarbeitet werden, was häufig schon gar nicht mehr möglich ist.

Als besonders schlimm empfand ich den Fall einer seit Jahren  schwer an Krebs erkrankten türkischen Versicherten, die mir über eine Dolmetscherin berichtete, dass der Sozialarbeiter einer Uniklinik ihr vor Jahren keinen  diesbezüglichen  Rat erteilte, da sie keinen Dolmetscher beibringen konnte. Durch bloßen Formalakt hätte man dieser bedauernswerten Frau eine Erwerbsminderungsrente sichern können; immerhin hatte sie die allgemeine Wartezeit deutlich erfüllt und über viele Jahre ihre Beiträge gezahlt.

Ähnliche Risiken lauern auf beschäftigte Versicherte, die sich im Laufe des Erwerbslebens zur Aufnahme  einer selbstständigen Erwerbstätigkeit entscheiden. Hier findet sich häufig die Konstellation, dass zwar noch freiwillige Beiträge in die  gesetzliche Rentenversicherung gezahlt werden, aber eben keine –notwendigen- Pflichtbeiträge. Hier sollte sich der Versicherte vor Aufnahme der Selbstständigkeit gut beraten lassen. Es kann sich daher durchaus lohnen, höhere Pflichtbeiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung in Kauf zu nehmen. Nach meiner Auffassung ist die gesetzliche Rentenversicherung viel besser als ihr Ruf. Insbesondere die Leistungen der Rehabilitation suchen ihresgleichen.  Die private Versicherungswirtschaft versichert nur den Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit in Form einer Rentenzahlung, zeigt sich im Leistungsfall aber  nicht selten überaus klagefreudig. Der schwer Erkrankte steht dem in aller Regel ohnmächtig gegenüber; zum einen aufgrund seiner krankheitsbedingten Lebenskrise, zum anderen, weil er keine Rechtsschutzversicherung hat und das Kostenrisiko fürchten muss. Im Bereich der Rehabilitation ist die Deutsche Rentenversicherung meiner Meinung nach nicht zu überbieten. Aber auch in Sachen Verzinsung wird sich die allgemeine Auffassung in wenigen Jahren sicher ändern.

Entschärft hat sich die Situation im Bereich der geringfügigen Beschäftigung, da bei einer Aufnahme einer solchen Tätigkeit ab dem 01.01.2013 nach dem gesetzlichen Regelstatut eine Versicherungspflicht vorliegt, die nur auf eigenen Antrag vermieden werden kann. Hier sollte man gründlich überlegen, ob man wirklich auf die Versicherungspflicht verzichten will. In der Regel raten wir davon ab.

Es lässt sich somit festhalten, dass die Durchsetzung einer Erwerbsminderungsrente mit vielen Hürden und Tücken verbunden sein kann. Leicht vermeidbare Fehler können hier zu irreversiblen und schweren wirtschaftlichen Nachteilen führen, die es zu verhindern gilt.

Man sieht halt nur, was man weiß (Goethe).

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